Jagtgebiet in der Nähe des Lagers (Jagtgebiet 1)

"Freut mich dich kennen zu lernen Kiyoshi." Kaala erklärte ihm, wieso sie Tochter des Mondes hieß. "Jetzt hältst du mich entweder für verrückt oder willst nie wieder etwas mit mir zu tun haben." Kaala seufzte und sah Kiyoshi kurz an, wendete aber sofort den Blick wieder ab. Er scheint nett zu sein. Kaala blickte auf den Boden.

Verblüfft starrte Kiyoshi die weiße Fähe an und brachte zunächst kein Ton raus.
"I-ist das... wahr?", fragte er überflüssigerweise und sah Kaala an, als sehe er zum ersten Mal einen Wolf. "Hast du... besondere Fähigkeiten oder sowas?", fragte er vorsichtig und etwas interessiert. Diese Wölfin hat schon was...

"Ja, die habe ich." Kaala zuckte kaum merklich zusammen, als sie sich an das letzte Mal erinnerte, wo sie ihre Kräfte eingesetzt hatte. "Zu Vollmond alle auf einmal." Sie seufzte leise. Sie wusste, sie könnte ihn mit ihren Kräften dazu bringen, sie zu mögen. Aber diese Kraft verabscheute sie so sehr.

"Wie wird jemand wie du geboren? Und wo lebst du?"
Kiyoshi betrachtete die Fähe eindringlich und musterte den Halbmond auf ihrer Stirn.
Ich dachte immer, es gibt sowas nicht. Vielleicht ist das auch einfach nur ein sonderbar aussehender Fleck, den sie nur zufällig hat. Sie kann viel reden, wenn der Tag lang ist.
Der Rüde ließ sich seine Zweifel jedoch nicht annmerken und schaute Kaala mit unveränderter Miene in die Augen.

Kaala seufzte. "Gib ruhig zu, dass du mir nicht glaubst." Sie starrte auf den Boden. "Meine Eltern sind die Wächter der Wölfe. Sie wachen über uns. Und ich lebe als Heilerin bei den Dark Moon Wolves." Um Kaalas Pfoten wirbelten Nebelschwaden. Sie sah ihnen interessiert zu, aber in Wirklichkeit hasste sie ihre Fähigkeiten. Aber sie konnte ja nicht ändern, wer sie war.

Kiyoshi ignorierte ihre Frage und betrachtete verwirrt die Nebelschwaden.
"Was ist das?", fragte er und machte einen Schritt zurück. Er jetzt wurde ihm klar, dass - wenn sie die Wahrheit sagte - er sich in ernsthafter Gefahr befand. Sie könnte ihn bestimmt innerhalb eines Herzschlages töten. Aber würde sie das auch tun? Der ehemalige Rudelführer kannte die Antwort nicht.

"Schon klar. Du bist genauso wie alle anderen." Kaala stand auf und drehte sich um. "Ich hatte gedacht, du wärest anders." In ihrem Zorn ließ sie einen kleinen Wirbelwind entstehen. Sie trottete langsam weg, die Kräuter ließ sie liegen. Sie ertrug es einfach nicht mehr. Sie wollte nicht mehr so angesehen werden. Sie wollte doch einfach nur normal sein. Wenigstens für einen Wolf.

Kiyoshi sah der Fähe wütend nach. In seinen hellgelben Augen funkelte der Zorn. "Was kann ich dafür, wenn du überirrdische Kräfte hast? Du musst nicht gleich beleidigt sein, wenn du einem fremden Wolf von deinen Fähigkeiten erzählst und er dich mit Vorsicht behandelt. Das würdest du nähmlich genauso machen, wenn du an meiner Stelle wärst.", knurrte er aus tiefer Kehle.

"Vielleicht. Aber du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn du dein Leben lang behandelt wirst, als ob du hochgiftig wärst. Wenn du deine Eltern fast nie siehst. Wenn die einzigen wichtigen Personen auf einmal alle weg sind." Kaala rollte sich zusammen. Sie wimmerte gaaaanz leise. Ich habe gedacht, dass er anders wäre. Aber das ist er nicht. Nicht ein bisschen.

"Du irrst dich, ich weiß sehr wohl wie es ist jemanden zu verlieren, der einem nahe steht. Vor kurzem habe ich mein Rudel bei einem Waldbrannd verloren. Meine Gefährtin, meine Welpen, alle sind sie tot." Trotz der tiefen Trauer in seiner Seele, klang Kiyoshis Stimme kühl und fest. Sie versinkt im Selbstmitleid. Das ist nicht gut.

Kaala knurrte leise und sprang auf. "Ich habe die Schnauze voll von euch allen. Es tut mir sehr Leid, was mit deinem Rudel und deiner Familie passiert ist. Ich hatte nur zwei Wölfe, die etwas mit mir zu tun haben wollten. Einer ist heute und der andere gestern gestorben. Und ich kann es nicht mehr ertragen, dass alle glauben, sie würden mich verstehen, wenn sie noch nie etwas mit mir zu tun hatten." Ihre Augen blitzten auf.

Kiyoshi schreckte bei ihrem Wutanfall nicht einmal mit den Ohren. Unverwandt schaute er Kaala an. "Ich habe nicht gesagt, dass ich dich verstehe. Ich sagte nur, dass ich auch schon jemanden verloren habe, der mir wichtig war. Ich kenne dich nicht und du kennst mich nicht. Warum lebst du dann in einem Rudel, wenn du meinst, dass dich alle hassen?", knurrte er.

"Weil es meine Pflicht ist, über diesem Rudel zu wachen." Kaala schnaubte abfällig. "Und im Gegensatz zu so manch anderem Wolf halte ich ein, was ich verspreche." Sie ging von diesem Wolf weg, von dem sie gedacht hatte, er wäre anders. Aber das war er anscheinend nicht. Er war wie sie alle. Erst große Klappe, dann wegrennen.

"Denkst du, du bist was besseres als die anderen, nur weil du außerirrdische Kräfte hast und > die Tochter des Mondes< bist?" Kiyoshi knurrte wütend, rannte der Fähe hinterher und stellte sich ihr in den Weg. Sein Fell hatte sich aufgerichten und seine Lefzten waren hochgezogen. Nun machte er einen gefährlichen Eindruck, auch wenn er sich über die Kräfte von Kaala bewusst war. Jeder hatte eine Schwachstelle. Und der Rüde kannte ihre, obwohl er sie noch nicht lange kannte. "Wenn du über das Rudel wachst... warum jagst du mich dann nicht aus deinem Territorium? Warum verschonst du meinen Pelz?", fragte er herrausfordernd.

Kaala zuckte mit den Schultern. "Du bist ein Wolf, wir müssen uns auf die Jäger vorbereiten. Warum sollte ich dich verjagen? Und außerdem bin ich Heilerin und kein Krieger." Die Fähe schaute Kiyoshi ausdruckslos an. Sie hatte einfach keine Kraft mehr für sowas. Sie würde sich am liebsten irgendwo hinlegen und sterben. "Und ich denke nicht, dass ich etwas besseres bin als ihr. Im Gegenteil."

"Es sind Jäger hier?" Kiyoshis Stimmung wandelte sich innerhalb eines Herzschlages.
Prüfend blickte er sich im Wald um, als erwartete er jeden Moment einen Zweibeiner.
Dann aber drehte er Kaala seinen Kopf wieder zu, mit einem fragenden Ausdruck.
"Was sind Krieger und Heiler?"

Kaala lächelte matt. "Sie kommen." Dann setzte sie sich. "Heiler kümmern sich um die verletzten und Kranken. Wir kümmern uns um alle Wölfe, nicht nur um die unseres Rudels und sind über die Grenzen erhaben. Krieger verteidigen das Rudel und verjagen Eindringlinge. Jäger gehen jagen. Wir haben alle unsere Aufgabe."

"Das klingt ja interessant. Du lebst in einem besonderen Rudel.", sagte Kiyoshi und dachte an sein Verstorbendes. Er hatte so etwas noch nie gehört. Die Rudel, denen er auf seiner Reise begegnet war, waren immer äußerst feinseelig und bestanden wie gewöhnlich aus den Elterntieren und den Nachkommen.

"Das kann man wohl sagen." Kaala schaute betrübt in die Ferne. Warum muss bloß alles immer so kompliziert sein? Kann es nicht einfach mal jemanden geben, der mich einfach als normalen Wolf nimmt? Wahrscheinlich nicht. Die Heilerin senkte den Blick auf ihre Pfoten.

Kiyoshi bemerkte die Traurigkeit in Kaalas Augen, doch er war nie besonders gut darin, jemanden zu trösten.
Er hatte eher eine kühle Natur, die ihn manchmal einsam machte. Energisch schüttelte er sich,
sodass sein schwarzer Pelz wirbelte. "Alles in Ordnung?", fragte er die Fähe.

Kaala schaute nicht auf. "Wie man es nimmt", antwortete sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme. "Es ist einfach nur lästig, wenn man immer nur skeptisch angesehen wird und es keinen gibt, der einen einfach so nimmt, wie man ist." Kaala schüttelte sich. Warum erzähle ich ihm das überhaupt? Ich kenne ihn doch gar nicht.

"Ja, solche Wölfe findet man nicht an jedem Baumstamm. Und doch gibt es sie. Vielleicht hast du ja schon so einen getroffen, doch du weißt es nur nicht.",
Kiyoshi streckte sich und schaute in den Himmel. Ob sein Rudel ihn nun sah?
Diese Frage hatte er sich in letzter Zeit nur so oft gestellt. Sehnsüchtig seufzte er auf.

Kaala zuckte leicht zusammen. "Nein, leider nicht. Nur unser Alpha respektiert mich, und er hat eine Gefährtin." Sie schaute ebenfalls nach oben. Ob mich meine Eltern jetzt wohl sehen? Und was ist mit Conan und Nevada? Ach, warum denn nicht? Warum wollt ihr nicht, dass ich glücklich werde? Ohne dass sie es merkte, lief ihr eine Träne über die Schnauze.

Kiyoshi verstand, dass es sehr schwierig war Kaala aufzuheitern. Er senkte den Kopf wieder und blickte der Fähe in die Augen. Warum nur, ist sie so selbstkritisch?
"Nur Mut. Jeder fällt im Leben in ein tiefes Loch. Nur wer stark ist, schafft es wieder hinaufzuklettern."

Kaala lächelte matt. "Dann ist mein Leben ein einziges tiefes Loch." Sie versuchte zu lächeln, es wollte ihr aber nicht so Recht gelingen. Sie freute sich schon, dass Kiyoshi sich bemühte, die Heilerin aufzuheitern, aber sie konnte nicht einfach so vergessen, dass sie noch nie wirkliche freunde gehabt hatte. Sie seufzte leise.